Stefan Englert

In der chinesischen Ernährungslehre werden alle Nahrungsmittel anhand dreier Eigenschaften kategorisiert, ihrer so genannten Temperatur, ihrer Geschmacksrichtung und ihrem angenommenen Wirkort im Körper. Diese Eigenschaften des Lebensmittels werden dann in Beziehung gesetzt zur Konstitution des Einzelnen, um zu bestimmen, welche Nahrungsmittel für ihn förderlich, welche eher schädlich sind. So werden allen Nahrungsmitteln Yin- und Yang-fördernde Qualitäten in unterschiedlicher Weise zugeordnet, ein Potenzial, das zu den Yin- und Yang-Lebenskräften des Individuums in Beziehung gesetzt wird. Anhand der Konstitution eines Menschen können unterschiedliche Empfehlungen für die Auswahl und Zubereitungsweise der Mahlzeiten ausgesprochen werden.

Die Diätetik fußt auf zwei Säulen:

Die Umwandlungskraft der Milz muss gefördert werden. Dies bedarf warmer und stärkender, somit leicht süßer Nahrungsmittel. (Diese sollten aber nicht zu süß und dazu befeuchtend sein.) Viele Getreide erfüllen diese Eigenschaften, nicht jedoch der Weizen, der durch seine große Nahrhaftigkeit schwerer verdaulich ist. Also empfehlen wir Hirse, Hafer, Reis, Mais. Hilfreiche Gemüse sind Karotten, Kartoffeln, Lauch, Auberginen und Zwiebeln.

Nahrungsmittel, die diuretische Eigenschaften aufweisen. Diuretische Nahrungsmittel, die gleichzeitig süßlich sind und einen Bezug zur Milz aufweisen, sind die Hülsenfrüchte. Besonders die Sojabohne wirkt diuretisch und Milz stützend.

Am leichtesten verdaulich für eine geschwächte Milz sind Suppen und Eintöpfe, oder gekochtes Getreide mit gedünstetem Gemüse dazu. Als Eiweißträger wird leicht verdauliches Eiweiß, wie Huhn oder wegen ihrer diuretischen Eigenschaften natürliche Sojaprodukte empfohlen. Da auch viele Fische leicht verdauliches Einweiß anbieten und eine leicht diuretische Wirkkomponente aufweisen, sind auch sie geeignet. Die Speisen sollten möglichst warm und mit Ruhe gegessen werden, da dies die Milz zusätzlich unterstützt. Gut kauen ist von großer Bedeutung, nicht schlingen der Nahrung. Cave: Besonders vorsichtig sollten diese Patienten eine Weile (bis zur deutlichen Erholung der Milz) mit folgenden Nahrungsmitteln sein: Süßigkeiten, Milchprodukte, eiskalte Getränke und Speisen, Rohkost, energetisch kalte Nahrung, Fettes, Alkohol. Schleimakkumulation Ursache Ähnlich den Ursachen des Milz-Qi-Mangels: zu reichliches Essen, unregelmäßige Mahlzeiten, Hektik beim Essen, zu befeuchtende oder kalte Nahrung, zu viele Sorgen, Grübeln, übermäßige geistige Tätigkeit, Bewegungsmangel.

Besonders sehr fette Speisen, Süßigkeiten und Alkohol können zu Schleim-Akkumulation führen. Physiologie Oft ist eine geschwächte Milz hinter einem Schleim-Befund zu finden, da die nicht transformierte Nahrung als Nässe liegen bleibt. Geschieht dies über eine längere Zeit, dann „dickt“ die Nässe mehr und mehr ein und es entsteht „Schleim“. Schleim führt zu einer Blockierung des Qi-Flusses. Daher kommt es auch zu weiteren zusätzlichen Beschwerden. Im Vergleich zum Milz-Qi-Mangel-Patienten sind Patienten mit Schleimakkumulation erschöpft, abgeschlagen und müde. Man beobachtet ein Schweregefühl begleitet von Ödemneigung und Schwellungen und Diarrhoeneigung. Zusätzlich klagen die Patienten über Übelkeit, Aufstoßen, Erbrechen, Druck- und Völlegefühl im Oberbauch, morgendliche Verschleimung im Rachen, häufiges Aushusten von Sputum, Schwere- und Druckgefühl im Stirnbereich, der Kopf fühle sich an wie benebelt. Diagnose / Befunde Körperliche Beschwerden: blasses Gesicht, Schwäche, Oberbauchbeschwerden, Druck im Thorax, Übelkeit, Husten und Auswurf; Zungenkörper : blass, gedunsen, Zahneindrücke an den Zungenrändern; Zungenbelag : dick, schmieriger klebriger Zungenbelag, weiß, feucht; Puls : kraftlos, schlüpfrig, evtl. drahtig. Therapie mit Diätetik Die Diätetik entspricht weitestgehend der des Milz-Qi Mangels. Jedoch muss man sich auf eine längere Behandlungszeit einstellen. Denn Schleim ist im wahrsten Sinne des Wortes eine „zähe“ Angelegenheit. Auch hier werden gekochte Getreide empfohlen – Hirse, Hafer, Reis, Mais – und vielfältige Gemüse – Karotten, Kartoffeln, Lauch, Auberginen, Zwiebel. Besonders wichtig sind wegen der bereits erwähnten diuretischen und Milz stützenden Wirkung die Hülsenfrüchte. Noch wichtiger ist es, auf Regelmäßigkeit der Ernährung zu achten und Nässe produzierende Nahrungsmittel zu meiden. Cave : Süßigkeiten, Fettes, Alkohol, Milchprodukte, kalte und rohe Nahrung sind eher schädlich. Daher sind Obst und Säfte besser zu meiden oder in Form von Kompott warm anzubieten.

Nieren-Yang-Mangel

Ursache

Körperliche Überarbeitung, schweres Heben, Schlafstörungen, übermäßige sexuelle Aktivität, Kälteinwirkungen im Bereich der Nieren-Region bzw. der Füße. Im Alter ist Nierenschwäche physiologisch Alle Sportarten, für die Nieren-Energie gebraucht wird, während zusätzlich diese Region gekühlt wird, schwächen die Niere: Motorradfahren, Bergsteigen, Rennradfahren, Wind-Surfen

Physiologie

Im Funktionskreis der Niere ist das gesamte Yang-Potenzial des Organismus bewahrt. Wie eine Heizungsanlage im Keller für die Temperatur des Hauses, so ist das Nieren-Yang für die Erwärmung und Aktivierung des gesamten Körpers verantwortlich. Daher kommt es auch zu ausgeprägten Kältegefühlen bei einem Nieren-Yang-Mangel. Blässe, und Antriebsmangel gehören ebenfalls dazu.

Diagnose / Befunde

Körperliche Beschwerden : blasses Gesicht, inneres Kältegefühl, kalte Füße, Schwäche und Schmerz im LWS-Bereich, Impotenz, Libidomangel, häufiges Wasserlassen, Appetitverlust, Diarrhoe, das Fehlen von Durst; Psychische Beschwerden : Trägheit, Erschöpfung, Willensschwäche, Ich-Schwäche; Zungenkörper : blass, gedunsen, Zahneindrücke an den Zungenrändern; Zungenbelag : vermehrt, weißlich, feucht; Puls : kraftlos, tief, langsam, gelegentlich ist die 3. Position deutlich schwächer tastbar. Therapie mit Diätetik

Da bei einem Nieren-Yang-Mangel auch ein Milz-Yang-Mangel begleitend auftreten kann, sollte die Stärkung der Niere auch die Kräftigung der Milz mit berücksichtigen (s. o.). Speziell für die Tonisierung des Nieren-Yang geeignet sind Walnüsse, Esskastanie, Fenchel, Weißkohl (alle von warmer Temperatur und von süßem Geschmack); Weintrauben (neutral und süß); Huhn, Schaf, Lamm, Ziege, Wachtel, Hirsch, Niere (Rind), Lachs, Garnelen; Zimt, Sternanis, Nelken, Alkohol (besonders Rotwein und Champagner wirken auf die Niere).

Blut- und Yin-Mangel

Ursache

Geburt, Stillzeit, Operationen und zehrende Krankheit, Erschöpfungs- und Mangelzustände können zu einem Blut- und Yin-Mangel führen. Auch langfristige Hitze-Prozesse konsumieren die Säfte. Physiologie Durch den Mangel an Blut und Yin fehlen dem Organismus die nährenden und kühlenden Valenzen. Es kommt zu Trockenheitssymptomen, Dystrophien durch mangelnde „Nährung“, Haarausfall und brüchige Nägel können die Folge sein. Welkes, fahles Aussehen, bei Yin-Mangel auch rote Wangen und innere Hitzewellen am Nachmittag oder nachts. Diagnose / Befunde Körperliche Beschwerden : rotes Gesicht, Hitzegefühl, Trockenheit der Haut und Schleimhaut (Obstipation), Durst; Psychische Beschwerden : Unruhe, Schlafstörung; Zungenkörper : bei Blut-Mangel blass, geschrumpft; bei Yin-Mangel rot, eher klein oder geschrumpft, rissig; Zungenbelag : vermindert oder ganz fehlend; Puls : sehr fein, fadenförmig, evtl. beschleunigt.

Therapie mit Diätetik

Hier sind vor allem befeuchtende, Säfte spendende Nahrungsmittel auszuwählen, und zwar so, dass die Milz mit der Verdauung dieser sehr befeuchtenden Valenzen nicht überfordert wird. Es eignet sich vor allem Obst, das meist von süßem Geschmack ist und befeuchtet. Zusätzlich kann die leichte Säure helfen, Blut und Yin des Körpers zu bewahren und Nachtschweißen vorzubeugen. Im Übrigen sind zahlreiche Früchte von neutraler bis kühler Temperatur, was die bei Yin-Mangel bestehende „Leere-Hitze“ mit beseitigen hilft. Erwähnenswert sind Weintraube und Kirsche sowie als Gemüse Karotte und Aubergine. Weiterhin sind hier gerade Milchprodukte und tierische Eiweiße zu empfehlen. Milch oder das leichter verdauliche Lassi (Jogurt 1 : 1 mit Wasser verquirlt) befeuchten, ergänzen die Säfte, stillen Durst und haben eine beruhigende Wirkung. Auch Sahne, Butter und Frischkäse in geringen Mengen nähren das Yin. Ferner leicht verdauliches tierisches Eiweiß wie Rind, Schwein, Taube, Hühnereigelb, Niere von Schwein oder Rind, Austern, Barsch, Karpfen, Tintenfisch. Von den Gewürzen ist besonders das Salz mit Bezug zur Niere und kaltem Temperaturverhalten zu erwähnen, außerdem das kühle, leicht süße Sesamöl mit stützender Wirkung auf das Nieren-Yin. Cave : Besonders vorsichtig sollten Patienten mit Säfte-Mangel bei heißen und trocknenden Speisen und Getränken sein. Scharfe Gewürze wie Chillies, aber auch energetisch heiße Genussmittel wie Tabak, hochprozentiger Alkohol oder der warme und trocknende Kaffee können das Yin weiter vermindern. Hitze-Nässe Erkrankungen Ursache Hitze-Nässe-Prozesse entsprechen oft dem, was man in der westlichen Medizin mit „Entzündungen“ bezeichnet. Sie entstehen durch „Liegengebliebenes“ – Nässe in der Milz durch unzulänglich Verdautes. Besteht Nässe über längere Zeit, entsteht dadurch leicht Hitze. Dies ist schwierig zu behandeln, da die Nässe allein das trocknende und wärmende Prinzip brauchen würde, was aber die Hitze verschlimmert. Die Hitze für sich genommen würde man gerne mit kühlen und befeuchtenden Mitteln behandeln, was aber wiederum mehr Nässe mit sich bringt.

Diagnose / Befunde

Körperliche Beschwerden : evtl. rotes Gesicht, Hitzegefühl, unreine Haut, Akne, übelriechende Diarrhoe mit Schleim oder Blut, Durst, aber kein Verlangen zu trinken, trüber Urin, Unruhe; Zungenkörper : rot, gedunsen; Zungenbelag : vermehrter, dicker gelblicher Belag; Puls : kräftig, voll, evtl. beschleunigt, schlüpfrig. Therapie mit Diätetik Empfehlenswert sind Getreide: Rundkornreis, Hirse, angekeimter Weizen, Weizenkeime, besonders geeignet ist Buchweizen; Hülsenfrüchte / Nüsse: Tofu (Sojabohnenquark), Sojasprossen, Erbse, Mungbohnen, frische Kokosmilch (kühlt und ist diuretisch); Gemüse: Viele Wurzelgemüse besitzen eine neutrale bis kühle Temperatur und einen süßen Geschmack. Sie wirken kühlend und diuretisch und sind daher gut geeignet bei Hitze-Nässe Prozessen – Stangensellerie, Rettich, Spinat, Aubergine, Löwenzahn, Chinakohl, Karotten, Salat; Obst: Ananas und Birne sind besonders geeignet bei Hitze-Nässe, da die Birne auch Schleim umwandeln kann. Andere Früchte hingegen sind zwar kühlend und für Hitze gut geeignet, aber auch Säfte spendend und befeuchtend und daher bei Hitze-Nässe nur bedingt empfehlenswert. Fleisch / Fisch / Milchprodukte: Viele Fleischsorten sind eher warm und erzeugen noch mehr Hitze. Milchprodukte sind zwar eher kühlend aber wiederum sehr befeuchtend und daher bei Nässe nicht empfehlenswert. Als Eiweißlieferanten eignen sich daher am besten Fisch oder Hülsenfrüchte wie Soja. Genussmittel: Grüner Tee kühlt und trocknet. Cave : besonders mit Alkohol, der wärmt und Nässe produzieren kann, daher auf längere Sicht Hitze-Nässe Prozesse ungünstig beeinflusst. Literatur

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Zusammenfassung

Besondere Aufmerksamkeit gilt in der chinesischen Ernährungslehre der Beeinflussung des Energiegleichgewichts im Körper durch die aufgenommene Nahrung. Dabei werden allen Nahrungsmitteln bestimmte Wirkungen auf die unterschiedlichen Funktionskreise des Körpers (Organsysteme) zugesprochen, die sich aus deren Eigenschaften nach chinesischem Verständnis ergeben. Charakterisiert werden Nahrungsmittel durch ihr so genanntes Temperaturverhalten, ihre Geschmacksrichtung und ihren Wirkort im Körper. Der Begriff Temperaturverhalten bezeichnet dabei Entwicklungen, die sich während des Verdauungsprozesses des jeweiligen Nahrungsmittels im Körper ergeben und nicht die physikalische Temperatur beim Verzehr. Es werden die Temperaturen heiß, warm, neutral, kühl und kalt unterschieden, sowie die Geschmacksrichtungen scharf, süß, neutral, sauer, salzig und bitter. Die Geschmacksrichtungen stehen mit spezifischen Wirkungen bzw. Wirkorten im Zusammenhang. So soll süßer Geschmack vor allem auf den Funktionskreis der Milz wirken, salziger Geschmack auf den Funktionskreis Niere. Durch die Art der Zubereitung können aber Eigenschaften von Nahrungsmitteln auch verändert werden. Wichtig ist ferner die Kombination von Nahrungsmitteln bei der Zusammenstellung von Mahlzeiten. In der chinesischen Ernährungslehre wird ferner auf die Zeit der Nahrungsaufnahme geachtet, die mit chronobiologischen Annahmen über die maximale Funktionsfähigkeit bestimmter Organe verbunden wird. Wichtig ist auch ausreichende Ruhe bei der Mahlzeit. Ein Übermaß an Nahrungsmitteln jeweils nur einer Wirkrichtung führt auf lange Sicht zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Um Ernährungsempfehlungen aussprechen zu können, ist es unerlässlich, zunächst den energetischen Zustand des Patienten diagnostisch zu erfassen. Hierzu dienen die gängigen Diagnosemethoden der chinesischen Medizin (z. B. Puls- und Zungendiagnostik). Diätetische Maßnahmen müssen dann typgerecht auf den Patienten abgestimmt werden.

Aus Loseblatt Werk Naturheilverfahren, Springer Verlag, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion, Patricia Falkenburg