Zusammenfassung

Ralph Raben

Die Behandlung nach dem NADA Protokoll eignet sich als Basisbehandlung von Suchtkranken, psychiatrisch Kranken und Traumatisierten. Ohrakupunktur ist dabei ein wesentliches Behandlungselement. Der Effekt der Behandlung und die Compliance sind größer, wenn die Behandlung in einer möglichst großen, offenen Gruppe stattfindet. Das Ziel ist außer der Reduktion von Symptomen eine Stabilisierung und Stärkung geschwächter, gestresster, vegetativ gestörter Patienten. In der Folge können sie besser schlafen, sich besser konzentrieren und Stress, Konfrontationen und Herausforderungen besser aushalten: die Compliance erhöht sich. In der Suchtbehandlung erhöht dies den Erfolg im Entzug von Alkohol, Medikamenten oder Drogen.

Es gibt zahlreiche Studien zur Effektivität dieser Behandlung, die sich seit 25 Jahren in den USA und seit etwa 10 Jahren auch in europäischen Ländern durchsetzt. Etwa 230 psychiatrische und Suchthilfeeinrichtungen arbeiten in Deutschland mit dem NADA Protokoll. NADA Treatment is widely used for 25 years in the US and in the recent 10 years in Europe. In Germany 230 facilities use the NADA Protocol in the treatment of psychiatric patients and patients with addiction.

Eine Übersicht zur Sucht-Therapie

Seit einigen Jahren wird Akupunktur in Deutschland zunehmend in die Behandlung suchtkranker Patienten integriert. Derzeit wenden etwa 230 ambulante und stationäre Einrichtungen wie Tageskliniken, Drogen- oder Alkoholambulanzen, Krankenhäuser, auch allgemein-psychiatrische Abteilungen, Rehabilitationskliniken, Gefängnisse und Schwerpunktpraxen Akupunktur als ernsthaften Bestandteil in der Behandlung von Alkoholkranken, psychiatrisch Kranken sowie drogen- und medikamentenabhängigen Patienten an.

1 — Geschichtliches

H.G. Marx (9) – ein Schüler von Bischko (Wien) – beschrieb als erster für den deutschsprachigen Raum, dass Akupunktur ein wirksames Element in der Entzugsbehandlung von chronisch Alkohol- und Drogenkranken ist. Als erfahrener Suchtmediziner beobachtete und beschrieb er die Effekte von Akupunktur: Minderung von vegetativen Störungen, Minderung des Suchtverlangens (craving), Verbesserung des physiologischen Schlafs, Reduzierung von Krampfanfällen, Verbesserung der Compliance für die gesamte Behandlung, gestärkte Motivation für die Phase von Therapie und Rehabilitation, günstige Effekte auf die Zusammenarbeit im Behandlungsteam. 1979 fanden seine Erfahrungen noch wenig Resonanz in der Fachwelt. Der Hongkonger Neurochirurg Wen (15) hatte bereits 1973 beschrieben, dass die tägliche Elektrostimulation des Lungenpunktes am Ohr die Entzugssymptomatik Opiumabhängiger und die Phase der Detoxifikation erheblich erleichtern. Mitarbeiter der Drogenambulanz des staatlichen Lincoln Hospitals in Bronx/New York behandelten daraufhin eine große Zahl von drogenabhängigen psychiatrisch auffälligen Patienten mit dieser Methode und probierten weitere Ohrpunkte aus. Sie fanden eine einfache und effektive Kombination von fünf Akupunkturpunkten im Ohr und entwickelten schließlich ein besonders geeignetes „Behandlungssetting“ für die qualifizierte ambulante und stationäre Entzugsbehandlung Alkoholkranker, crack-, heroin-, methadon- und amphetaminabhängiger Patienten (14). Es zeigte sich, dass diese Art von Ohrakupunktur unabhängig von der Art des Suchtmittels wirksam war und auch bei psychiatrisch schwer gestörten und verwirrten Patienten (bipolare Störungen, Doppeldiagnose-Patienten) Wirkung zeigte. Diese Behandlung der Lincoln Clinic in Bronx wurde in den 1980er Jahren zu einem Modell, das sich in den USA als „Behandlung nach dem NADA Protokoll“ etablierte.

NADA wurde 1985 in New York gegründet mit dem Ziel, diese Behandlung zu etablieren, sie wissenschaftlich zu evaluieren und für eine gute Aus- und Weiterbildung auf diesem Gebiet zu sorgen.

NADA ist die Abkürzung für National Acupuncture Detoxification Association. NADA ist auch ein spanisches Wort und heißt NICHTS: Es wird ohne Stoff behandelt, aus der Sicht eines Stoffabhängigen mit Nichts.

2 — NADA weltweit

Später verbreitete sich diese Methode auch in europäischen Ländern in jeweils abgewandelten Formen. In Groß-Britannien wurden mehrere tausend professionelle Suchttherapeuten in der Praxis des NADA Protokolls ausgebildet. Außer in der ambulanten und stationären Suchtbehandlung wird dort die Methode z.B. in 60 Gefängnissen angewendet. Weltweit gibt es eine enorme Suchtproblematik im Strafvollzug, die Resozialisierung nahezu unmöglich macht und zu Gewalt in Gefängnissen führt. Ebenso ist das NADA Protokoll in Schweden verbreitet, in Italien, in Ungarn, seit 5 Jahren in Dänemark, in Finnland und neuerdings in der Schweiz. Nachdem 1992 die Fachklinik für Drogenentzug „Agethorst“ (jetzt „Bokholt“, in der Nähe von Hamburg) begann, Drogenentzug ohne Methadon und ohne Benzodiazepine – ausschließlich unter Akupunkturbehandlung – durchzuführen und damit bis heute sehr erfolgreich arbeitet, verbreitete sich die Methode während der letzten 10 Jahre auch in Deutschland. 1993 wurde die NADA Deutschland gegründet. Außer erfahrenen Suchtmedizinern (z.B. Michael Smith, NYC, H.G. Marx, Gütersloh, Carsten Strauß, Eckernförde und Suchttherapeuten (z.B. Wolfgang Weidig, Hamburg) waren daran erfahrene Akupunkteure beteiligt wie John Tindall, London, ein Schüler von Maciocia, Walter Geiger, Hamburg und Jochen Gleditsch, München. Derzeit ist NADA im Bereich der ambulanten und stationären Suchtbehandlung aktiv und erfolgreich und bildet auch Teams von allgemein-psychiatrischen Abteilungen aus (2, 11).

3 — Das NADA Protokoll

Das Behandlungsverfahren der NADA – das „NADA Protokoll“ – kombiniert Ohrakupunktur mit einer strukturierten, nicht-ängstigenden Art des Behandlungsstils. Es geht damit vor allem auf die besondere Problematik suchtkranker oder psychiatrisch kranker, oft äußerst ambivalenter Patienten mit wechselnder Compliance ein. Dieses Behandlungs-Protokoll eignet sich unter anderem: · schon während des Gebrauchs von Alkohol und Drogen zur Stabilisierung des Patienten · um überhaupt einen therapeutischen Zugang zu schwierigen Patienten zu bekommen · als unterstützende Behandlung während der Entgiftung (Alkohol- und Drogenentzug) · zur Symptomlinderung medikamentöser Nebenwirkungen · zur Unterstützung während psychotherapeutischer Behandlung und Rehabilitation · als Basisbehandlung psychiatrisch Kranker · für alkohol- und drogenabhängige Schwangere · zur Behandlung drogenabhängiger Kinder und Jugendlicher · zur Unterstützung beim Zigarettenentzug · zur Rückfallprophylaxe nach einer Entzugsbehandlung · zur sofortigen erneuten Behandlung beim Rückfall – ambulant oder stationär.

Zusammenfassend:
Das NADA Protokoll eignet sich für Ambulanzen, Kliniken, Drogen- und Alkoholberatungsstellen, Gefängnisse, Tageskliniken, gar Obdachlosenasylen und auch für Arztpraxen, sofern diese die besondere Art des Behandlungsstils herstellen können.

3.1 — Die Wirkungen

Die typischen Wirkungen dieser Akupunkturbehandlung sind: · Linderung von vegetativen Beschwerden im Entzug: z.B. Schmerzen, Übelkeit, Tränenfluss, innere Unruhe, Herzrasen, exzessives Schwitzen · körperliche und seelische Stabilisierung · verbesserte Konzentration bei gleichzeitiger Entspannung · Reduktion von Ängstlichkeit · Schlafregulation · vermindertes Suchtverlangen (craving) bei sämtlichen Suchtstoffen Insgesamt sind die Patienten nach Akupunktur weniger ängstlich, stabiler, stärker, wacher und aufmerksamer; sie halten mehr aus. Das wirkt sich positiv auf eines der Hauptprobleme der psychiatrischen und der Suchtbehandlung aus: auf die Konsistenz ihrer Motivation zur Behandlung. Schon die therapeutische Absicht, ein Suchtmittel zu entziehen, ängstigt suchtgestörte Patienten in einer Weise, die der Gesunde (Arzt oder Therapeut) kaum verstehen kann. Die Angst und das geringe Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten führen daher in konventionellen Suchtbehandlungen oft schon nach kurzer Zeit zum Therapieabbruch. Das ist teuer und für alle frustrierend. Im NADA Protokoll wird daher Akupunktur geschickt mit weiteren konventionellen suchtmedizinischen und psycho-sozio-therapeutischen Elementen verknüpft. Erst dann erlangt Akupunktur auf diesem schwierigen Gebiet ihre volle Akzeptanz und Effektivität. Die Erfahrungen akupunktierender Suchthilfeeinrichtungen gehen regelmäßig dahin, dass erst die Kombination mit Therapie zu einer dauerhaften Stabilisierung der Patienten führt. Es muss betont werden, dass es bei „Akupunktur in der Suchtmedizin“ nicht darum geht, in der Praxis einige Nadeln geschickt an die richtigen Stellen im Ohr zu bringen und zu hoffen, dass die Nadeln Wunder wirken. Gleichwohl haben die meisten erfahrenen „Suchtakupunkteure“ auch solche Patienten als wunderbare „Fälle“ in ihrer Erinnerung.

3.2 — Das Behandlungssetting

Es hat sich gezeigt, dass im Umgang mit schwierigen, ängstlichen und ambivalenten Menschen einige Modalitäten im Behandlungsablauf von besonderer Bedeutung sind, damit diese Therapie angenommen wird und diese Patienten Vertrauen in die Behandlung entwickeln können. Ein klar definierter Rahmen, in dem die Akupunktur stattfindet, ist wichtig. Folgende Elemente des NADA Protokolls haben sich als günstig für den Behandlungserfolg erwiesen: · Die Behandlung findet in der Gruppe statt · Die Patienten sitzen · Die Behandlungszeiten liegen fest (z.B. täglich zwischen 11 und 13 Uhr) · Die Atmosphäre im Behandlungsraum soll non-konfrontativ sein · Jeder Patient wird akzeptiert · Patienten dürfen auch ohne Nadeln im Raum sitzen (um mal zu sehen, was passiert) · Die Behandlung sollte während der ersten beiden Wochen nahezu täglich stattfinden · Die Patienten trinken täglich mehrfach einen Tee aus 6 Kräutern · Patienten haben die Möglichkeit zu Therapie und Beratung Schwierige Patienten gewinnen Vertrauen, wenn sie merken, dass der Akupunkteur sie respektiert und handwerklich geschickt ist.

3.3 — Die Akupunkturpunkte

Das Behandlungssetting nach dem NADA Protokoll benutzt ausschließlich Ohrakupunktur. Im Lincoln Hospital in New York wurde in den 1970er Jahren eine einfache, aber effektive Punktkombination entwickelt. Es zeigte sich, dass sie den Patienten bei der Entgiftung von Alkohol, Heroin, Methadon, Crack, Kokain, Benzodiazepinen, Amphetaminen und auch Cannabis half und dass viel mehr Patienten im konventionellen Behandlungsprogramm (Entgiftung/Therapie/Rehabilitation/Selbsthilfegruppe) blieben, die wiederholt an Ohrakupunktur teilgenommen hatten.

Smith und Mitarbeiter (14) verwendeten folgende Punkte, bzw. Areale:

  • Vegetativum, sympathetic point = Punkt 51
  • Shen Men (übersetzt: Tor zur Seele oder Tor des Geistes) = Punkt 55
  • Niere = Punkt 95
  • Leber = Punkt 97
  • Lunge = Punkt 101

Die Verwendung dieser Punkte hat sich in vielen hunderttausend Behandlungen bis heute bewährt. Es werden 3-5 Punkte an beiden Ohren akupunktiert. Dabei werden die Punkte nicht „detektiert“ (z.B. mit der very-point-Technik oder dem RAC). Wir verwenden auch keine Punktsuchgeräte. Die Areale werden mit feinen Stahl-Einweg-Nadeln (z.B. 0.2×13 mm) akupunktiert, etwa 2 – 3 mm tief gestochen, so dass die Ohrhaut durchstochen wird und die Nadel im Knorpel haftet. Man hilft dem Patienten über den Einstichschmerz hinweg, indem man ihn bittet, kurz und schnell ein- oder auszuatmen (Technik des Gegenatmens). Die Punktkombination hat sich in sehr vielen psychiatrischen und suchtmedizinischen Behandlungsprogrammen auf der Welt bewährt. Sie ist für den Patienten leicht zu tolerieren, sie ist für Ärzte, Krankenschwestern oder Therapeuten leicht zu erlernen und einfach anzuwenden. Ohrakupunktur ist risikoarm und zeigt oft eine unmittelbare Wirkung beim Patienten schon während der Behandlungssitzung. Besonders erschöpfte Patienten schlafen oft nach wenigen Minuten ein, um nach etwa einer halben Stunde wieder aufzuwachen.

Ein Vorteil: Anders als die Körperakupunktur hat diese Ohrakupunktur keine Kontraindikationen, da die Nadel nicht in die Muskulatur gestochen wird. Das ist ein großer Vorteil, weil so auch Patienten behandelt werden, die noch gar nicht wirklich „anamnesefähig“ sind oder mit Gerinnungshemmern behandelt werden. Schwierige Patienten werden nicht durch zu viele Fragen abgeschreckt und so eventuell von der Behandlung abgehalten. Die Erfahrung lehrt, dass nach der ersten oder vor der zweiten oder dritten Behandlung ein Patientengespräch wesentlich sinnvoller wird, weil der Patient dann „klarer“ und aufnahmefähiger ist. Akupunktur führt damit zur besseren Diagnostik durch den Arzt.

3.2 — Chinesische Medizin: Behandlung von „Leere Feuer“

Die meisten chronischen Alkohol- oder Drogenkranken zeigen Symptome von überschießendem Yang, sowohl im täglichen Leben wie in der Entzugsbehandlung: Schlafstörungen, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen, diffuse Schmerzen, Muskelzittern, extreme innere Unruhe, zeitweilig übermäßige Aggressivität, Ängstlichkeit, nicht selten sehr viele Worte (manchmal wirre Sprache). Diese Symptomatik wird in der Chinesischen Medizin mit der treffenden Metapher „Leere Feuer“ oder „kaltes Feuer“ bezeichnet: ein Feuer, das nicht wärmt.

Der Grund für die überschießende, oft exzessive Symptomatik liegt regelmäßig in einer Schwäche des Patienten, in einer Leere und nicht in einer Fülle. Die Yin-Struktur und die Yin-Funktionen verschiedener Organe/Funktionskreise werden – je nach individuellem Fall – durch den chronisch chaotischen Lebensstil, den chronischen Konsum der Stoffe, den Verlust von Strukturen (Familie, Arbeit, soziale Bezüge, Wohnung), den Ernährungsmangel „Milz“ nach und nach geschwächt. So finden wir insgesamt eine Schwäche von Yin-Funktionen: vor allem der ruhige, innere Tonus geht den Menschen verloren. Oft beginnt der Prozess schon in Kindheit und Jugend, oder es wird schon früh die Disposition dafür erworben. Fast alle Alkohol- und Drogenpatienten haben Erfahrungen massiver seelischer oder körperlicher – oft sexueller – Gewalt in ihrer Anamnese. Die traumatische Erfahrung von Gewalt löst Angst und Schrecken aus und greift massiv das „Herz“ an (schwächt den „shen“, den Geist, die Seele) und die „Niere“. Angst, Bedrohung und Hilflosigkeit rufen natürlicherweise Aggressionen hervor und erzeugen Wut und Zorn, wenn sich der junge Mensch nicht wehren kann oder darf (z.B. weil das ganze innerhalb der Familie stattfindet). Diese Situation führt auf Dauer zu Selbstverachtung und Selbstentwertung und – gemäß der Chinesischen Medizin – zu einer Schwächung der „Leber“. Trauer über diese Erlebnisse wird in Gewaltfamilien, aber auch bei posttraumatischer Belastungsstörung regelmäßig verdrängt und unterdrückt. Damit bleibt das vergangene Trauma nicht hinter einem und wird nicht abgeschlossen – die „Lungenfunktion“ des Ausatmens und Entgiftens). Daher kann Neues nicht entstehen, die Entwicklung der Person stagniert (chinesisch „Lungenschaden“). Viele dieser Patienten verharren im seelischen Entwicklungszustand eines Kindes oder in der Pubertät. Akupunktur hat hier die Funktion, die Person zu stärken und nach und nach Stagnierendes wieder in Bewegung zu bringen, um Veränderung und Entwicklung zu ermöglichen. Das ist regelmäßig das, was geduldige Akupunkteure und Therapeuten bei ihren Patienten sehen: Akupunkturkunst als „Hebamme der Seele“, wie Michael Smith das in seinem Vortrag während der NADA-Konferenz im September 2003 in Hamburg ausdrückte.

Die NADA Behandlung ist von ihrem Ansatz her eine Yin Behandlung . Was heißt das? Die Behandlung zielt auf die Schaffung von Strukturen. Das Setting hat einfache Regeln, die der Patient einhalten kann. Das stärkt ihn. Er sitzt, er darf Kontrolle behalten anstatt zu liegen und sich hingeben zu müssen, er kommt zu festen Zeiten. Ruhe, Struktur und Ausgeglichenheit während der Akupunktur. Der Patient fühlt, dass es ihm schon während der Akupunktur besser geht, ohne dass ein „Stoff“ in ihn hineingekommen ist. Typische Frage: „Was war dran an der Nadel?“ Die Gruppe ist eine starke, natürliche Struktur, in die sich der Patient leicht integrieren kann, wenn er nicht zu früh durch Worte und Fragen konfrontiert und abgeschreckt wird, bevor die wiederholte Akupunktur überhaupt eine ausgleichende Wirkung zeigen kann. Das Ziel ist nicht Beruhigung, nicht Sedierung oder nur die Reduktion von Symptomen, sondern das Ziel ist die bessere Stabilität und Stärkung der Person, den eigenen ruhigen inneren Tonus wieder zu finden. Der Patient soll wacher und aufmerksamer sein. Das Ziel ist z.B. Aushalten- können von Blicken, von Worten, von Therapie, einer anderen Person, von Konfrontationen, oder es mit sich selbst aushalten können. Das Ziel ist, zunächst am Dealer, an der Kneipe vorbei gehen zu können und danach sogar Therapie aushalten zu können. Das heißt, Vergangenheit bewältigen zu können und sich auf die Zukunft vorzubereiten. Wenn das YIN gestärkt wird, werden überschießende YANG Symptome schwächer.

4 — Wissenschaftliche Untersuchungen

RCT als Problem bei Sucht- und psychiatrischen Patienten Die Ergebnisse zahlreicher wissenschaftlicher Studien, z.T. randomisiert, single-blinded, z.T mit großen Patientenzahlen zur Effektivität von Akupunktur in der Suchtbehandlung, sind bis heute inkonsistent. Es gibt viele Studien und Analysen, die einen deutlichen Effekt des „NADA Protokolls“ in Bezug auf die klinische Gesundung von Suchtpatienten zeigen (z.B.: 1, 3, 5, 6, 7, 12, 14, 15). Und es gibt Vergleichsstudien zwischen Verum-Akupunktur“ und „Sham-Akupunktur“ Placebo“ in der Suchtbehandlung, die keinen signifikanten Unterschied in der Wirksamkeit beider Protokolle (8) zeigen. Neuerdings beschäftigen sich Studien mit der Wirksamkeit des NADA Protokolls bei allgemein psychiatrischen Erkrankungen (4).

Das Hauptproblem besteht im Studiendesign.

Akupunkturtherapie – zumal bei Sucht- und psychiatrischen Patienten – verläuft immer anders als etwa eine Medikamentenbehandlung:

Der Beziehungsaspekt spielt eine große Rolle und ist daher kaum doppelt zu verblinden.

Die Einstellung des Behandlers zum Patienten, seine gegenwärtige innere Haltung, seine eigene Verfassung, was im Augenblick der Behandlung in ihm vorgeht, all das spielt eine Rolle, ähnlich wie in der Psychotherapie.

Bei der Akupunktur regt nicht nur die Nadel, sondern auch die Beziehung von einem Menschen zum anderen den Heilungsprozess an. Ob ein schwieriger, ambivalenter Patient morgen wiederkommt oder „aussteigt“ („Akupunktur hilft mir nicht“, „Akupunktur hat mir wehgetan“), hängt sehr stark von Faktoren der verbalen und non-verbalen Interaktion zwischen beiden ab. Respekt, Freundlichkeit, Ernsthaftigkeit, Geschick, gewissermaßen das „gute Benehmen“ des Akupunkteurs spielen eine überragende Rolle bei psychiatrischen Patienten, bei schwierigen, ambivalenten Patienten, bei Suchtpatienten, die oft viele Behandlungsversuche hinter sich haben, immer wieder gescheitert sind, bei fast allen Therapien eine niedrige Compliance zeigen, es sei denn, sie erhalten ihren Suchtstoff (z.B. Heroin- oder Methadonbehandlung). In einer Studie, in der der Akupunkteur bewusst „Sham-Akupunktur“ durchführen muss, wird mehr am Behandlungssetting geändert als nur die Punktlokalisation. Es ändert sich z.B. die „innere Einstellung“ des „Therapeuten“ zu seiner Therapie und zu seinem „Forschungsobjekt“. Man könnte sagen, dass die Behandlungsmoral in einer ernstgemeinten Behandlung anders ist als bei einem Forschungsvorhaben mit vielen Vorgaben und Standardisierungen.. Eine sinnvolle Studie könnte meines Erachtens darin bestehen, eine Suchthilfeeinrichtung (z.B. im Alkoholentzug) oder eine psychiatrische Klinik, die z.B. das „NADA Protokoll“ in ihre Entzugs- und Reha-Behandlung neben anderen Therapieelementen integriert haben, über einen längeren Zeitraum zu vergleichen mit vergleichbaren Einrichtungen, die ohne das NADA Protokoll arbeiten. Interessant wäre dann, wie gut der „clinical outcome“ ist, wie lange das rezidivfreie Intervall ist, die Haltequote im Programm. Bisher allerdings überwiegen Studien, die wissen wollen, ob der Nadelstich an sich überhaupt eine Wirkung hat.

5 — Die Ausbildung zum „NADA-Therapeuten“

Die Ausbildung zum Akupunktur in der Suchtbehandlung muss mehr leisten, als den Auszubildenden das richtige und sichere Stechen der richtigen Punkte beizubringen. Wer im NADA Protokoll arbeitet, muss lernen, seinen Patienten in jeder heiklen Situation („Lass mich in Ruhe, Alter!“) respektvoll zu behandeln und auch non-verbal zu vermitteln, dass er, so ängstlich, so ambivalent, so „unmöglich und chaotisch“ und so gestresst sein Patient auch ist, angenommen und respektiert wird – und trotzdem Grenzen erfährt. Sonst werden der Akupunkteur und die Behandlungseinrichtung viele Patienten nicht wieder sehen. Dieser Aspekt kommt in vielen, sehr langen und ausführlichen Akupunkturausbildungen möglicherweise zu kurz.

NADA bildet alle aus, die professionell mit psychiatrischen Patienten oder Suchtpatienten zu tun haben. Vor allem sind es ganze Teams aus Ärzten, Schwestern, Pflegern und Therapeuten, die oft vor Ort ausgebildet werden (siehe den Bericht von Kollegen Niederecker über das BKH Taufkirchen in dieser Ausgabe). Oft sind bereits im zweiten Kurs Patienten dabei. Dadurch bekommt die gegenseitige Akupunktur einen erheblich ernsthafteren Charakter. Die Ausbildung besteht aus zwei vollständigen Wochenenden, Basic I und II mit theoretischer und praktischer Prüfung und einem 20 stündigen Praktikum in einer Einrichtung, die bereits nach dem NADA Protokoll arbeitet. Für gewöhnlich trainieren zwei erfahrene Trainer und Akupunkteure 20 Auszubildende.

6 — Schlussbemerkung

Das NADA Protokoll ist ein Behandlungskonzept, das Akupunktur und konventionelle therapeutische Elemente verbindet. Es ist einfach und effektiv und kann leicht in alle konventionellen psychiatrischen, psychotherapeutischen und suchtmedizinischen Behandlungskonzepte integriert werden. Der besondere non-konfrontative Behandlungsstil und die Einfachheit der Ohrakupunktur sollen es auch schwierigen, ambivalenten Patienten ermöglichen, regelmäßig und wiederholt an Akupunkturbehandlungen teilzunehmen.

Das NADA Protokoll wird immer häufiger als ernsthaftes Element täglicher Behandlung in ambulanten und stationären Einrichtungen, die psychisch Kranke und Suchtkranke zu versorgen haben, eingesetzt – längst nicht nur mehr zur therapeutischen Detoxifikation bei Suchtkranken.

Literatur

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Dr. med. Ralph Raben Vorsitzender NADA Deutschland Ottenser Hauptstraße 33 D-22765 Hamburg E-mail: ralphraben at web.de E-mail NADA: kontakt at nada-akupunktur.de www.Nada-akupunktur.de Aus: Deutsche Zeitschrift für Akupunktur DZA, 47. Jahrgang 2/2004, Seite 18-20 Mit freundlicher Abdruckgenehmigung von Chefredakteur Thomas Ots