Drogen- und Alkoholabhängigkeit sowie Nikotinentwöhnung

von Gabriel Stux

Drogenabhängigkeit

In den 60er Jahren entdeckte der bekannte Hongkonger Neurochirurg Wen durch Zufall, daß Ohrakupunktur die Symptome des Drogenentzugs bei Heroinsüchtigen minderte. Auch das Verlangen nach Drogen war deutlich reduziert. Als Dr. Wen postoperative Schmerzen mit Akupunktur behandelte, besserte sich die Entzugssymptomatik bei einigen Patienten, die opiatabhängig waren. Diese Wirkung wurde in verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt und auch praktisch in der Drogentherapie genutzt. Dr. Wen erklärte hierzu: „Patienten wurden erfolgreich durch Akupunktur entgiftet, jedoch benötigten sie anschließend psychosoziale Rehabilitation”. Akupunktur zeigt neben der Linderung der Entzugssymptomatik auch psychisch stabilisierende Wirkungen, z.B. Angstreduktion, die in der Rehabilitation von Drogenabhängigen von entscheidendem Wert sein können.

Erst Ende der 70er Jahre, also nach Entdeckung der Endorphine, wurde der Wirkungsmechanismus erhellt. Bei Mäusen gelang es, den gesamten Endorphingehalt des Gehirns zu bestimmen. Dieser ließ sich unter Entzug durch Akupunktur vermehren. Auch die Entzugssymptome wurden bei Mäusen und Ratten durch Akupunktur reduziert. Der große Vorzug der Akupunkturtherapie bei der Entgiftung liegt darin, daß keine Ersatzdroge mit zusätzlicher Problematik, wie z.B. Methadon, notwendig ist, da die Akupunktur physiologisch Endorphine freigesetzt. In den 70er Jahren begann Michael O. Smith im New Yorker Lincoln Hospital South Bronx, Heroin- und Kokainsüchtige mit Akupunktur zu behandeln. Die Resultate dieser Therapie waren so überzeugend, daß schon bald 250 Drogenabhängige täglich in diesem Krankenhaus behandelt wurden. Neben der Verminderung der akuten Entzugserscheinungen kam es zu einer Abnahme des Verlangens nach Drogen und zur Reduzierung der Ängste. Die Akupunkturtherapie wird dort bis heute täglich durchgeführt, in einem großen Therapieraum, in dem über 50 Patienten gleichzeitig im Sitzen behandelt werden. Die Therapiekontrolle erfolgt mit Urintests. Mehrere Untersuchungen zeigen bei 60-68% der Patienten einen Erfolg.

Seit 1987 wurde im Lincoln Hospital Akupunkturtherapie bei über 8000 Crack-abhängigen Patienten erfolgreich eingesetzt. Gerade seit dem Erscheinen dieser extrem schnell zur Sucht führenden Droge zeigt sich, daß durch die tägliche Akupunkturtherapie nicht nur die massiven Entzugssymptome kontrollierbar werden, sondern auch die extreme Aggressivität der Patienten gemildert wird. Die Akupunkturtherapie des Lincoln Hospitals wurde in vielen Großstädten der USA erfolgreich eingeführt. Eine Senatskommision beurteilte dieses Drogentherapiemodell nach einer Anhörung positiv und empfahl die finanzielle Unterstützung, die seit 1989 erfolgt.

Akupunktur hilft, einen Zustand physiologischen und psychischen Gleichgewichts herzustellen, der es den Drogenabhängigen erlaubt, an anderen Formen der Drogentherapie teilzunehmen. Gerade durch die psychische Stabilisierung und die deutliche Minderung des Verlangens nach Drogen ist die Rückfallrate weit geringer als bei jeder anderen Form der Drogentherapie. Die relativ einfache Therapie beruht auf der Ohrakupunktur der Punkte Ohr-Shenmen, Sympathikus, Herz, Niere und Leber. Die überwiegende Mehrheit der Drogenpatienten leidet an dem Syndrom des „Empty Fire“, d.h. einer Yin-Schwäche vor allem der Niere als Basis, begleitet von einer massiven Yang-Fülle mit Feuer an der Oberfläche, die sich in Nervosität, innerer Unruhe, Getriebensein und Aggressivität äußert. Zwar gibt es auch in der Bundesrepublik seit etwa zehn Jahren vereinzelte Ansätze einer Akupunkturtherapie bei Drogenabhängigen, bislang jedoch nur in einem geringen Umfang. Gerade wenn man den Erfolg, den Umfang und das positive politische Echo des Akupunktureinsatzes bei der Drogentherapie in den USA berücksichtigt, ist es verwunderlich, daß in der Bundesrepublik eine so wirksame Therapie vernachlässigt wird. Dies ist auch deshalb bedauerlich, weil die Akupunktur bei Drogenabhängigkeit leicht zu erlernen, hochwirksam und, bei kompetenter Anwendung, nebenwirkungsfrei ist. Ersatzdrogen wie Methadon werden durch die Akupunktur überflüssig, weil der Endorphinstoffwechsel direkt beeinflußt wird.

Alkoholabhängigkeit

Auch bei Alkoholabhängigkeit zeigt die Akupunktur wegen ihrer psychisch stabilisierenden Wirkung gute Erfolge. Gerade die Reduzierung des suchtartigen Verlangens nach alkoholischen Getränken ist von besonderem therapeutischen Wert. Auch hier sind jedoch der therapeutische Rahmen und das soziale Umfeld entscheidend für den Behandlungserfolg. Die Störungen spielen sich meist in den Organsystemen Magen-Milz-Pankreas und Leber-Gallenblase ab. Über Punkte des Herzmeridians erzielt man eine psychische Beruhigung, durch die Leberpunkte eine Belebung der Lebenskräfte und über die spezifischen Punkte der Ohrmuschel eine Beseitigung des Verlangens nach Alkohol sowie die Verminderung der Entzugserscheinungen.

Nikotinentwöhnung

Auch bei der Entwöhnung von Zigaretten ist die Akupunkturtherapie sehr wirksam. Sie beseitigt das Verlangen nach Zigaretten und die häufigen Entzugssymptome wie innere Unruhe, Nervosität, Eßlust, aber auch Schwitzen, Herzklopfen und weitere vegetative Beschwerden. Wie bei allen Suchterkrankungen ist auch hier die Motivation des Patienten von entscheidender Bedeutung für den Therapieerfolg. Nachdem der Patient das Zigarettenrauchen vollständig eingestellt hat, behandelt man 2 bis 3mal in der Woche, insgesamt 4 bis 5mal. In dieser Zeit tritt häufig auch eine erstaunliche psychische Stabilisierung ein. Bei der Behandlung von Zigarettenabhängigkeit hat sich eine Punktekombination bewährt, bei der die Punkte der Ohrakupunktur eine zentrale Rolle spielen.

Aus: Stux G (1996) – Akupunktur: Grundlagen – Techniken – Anwendungsgebiete, Kapitel VI -Beck’sche Reihe Wissen, Verlag C.H. Beck München